23.03.23 14:51, Sawk
Stichwörter: feminin, hankjønn, hunkjønn, maskulin, Utrum
Hallo,

ich habe erst kürzlich damit angefangen norwegisch zu lernen und würde gerne mehr über darüber erfahren, dass weibliche
Substantive sowohl mit „ei“ bzw. der Endung „a“ verwendet werden können als auch mit dem männlichen „en“ (also z.B. ei/en flaske –
flaska/flasken).
Das habe ich nun schon auf mehreren Seiten und Sprach-Apps gelesen, jedoch nie mit einer Erklärung wie geläufig die Varianten
sind, also welche Form ich nun am besten benutzen sollte.

Hintergrund ist der, dass ich Verwandschaft in Oslo habe und hauptsächlich mit diesen bzw. mit Menschen in und um Oslo
norwegisch sprechen werde. Spezifisch ist meine Frage also: Würde man in Oslo z.B. eher „flasken“ oder „flaska“ sagen?

Falls man das nicht so pauschal beantworten kann, freue ich mich sehr über weitere Hintergründe dazu.

Tusen takk!

23.03.23 20:26, Tilia de
Das ist eine Frage des Dialekts. Grundsätzlich gibt es im Norwegischen die Sprachvarianten Bokmål und Nynorsk.
Bokmål ist am weitesten verbreitet und die Variante, um die es normalerweise geht, wenn man Norwegisch als Fremdsprache lernt.
Bei den Bokmål-basierten Dialekten wird die weibliche Form eines Substantivs eher nicht/seltener benutzt. Auch in Oslo und
Umgebung wird Bokmål gesprochen. Du kannst dich also bei den betreffenden Substantiven auf die männliche Form konzentrieren,
also: en flaske - flasken.
Nynorsk-basierte Dialekte findet man eher in Westnorwegen. Hier wird bei entsprechenden Substantiven tendenziell die weibliche
Form benutzt.

24.03.23 14:25, Sawk
Hallo Tilia,

vielen Dank für die ausführliche Antwort! Das hat mir sehr geholfen.

Das bedeutet, dass selbst weibliche Begriffe wie kvinne und jente männlich verwendet werden, richtig?

Sollte man sich dennoch beim Lernen der weiblichen Substantive das Geschlecht merken, z.B. weil es grammatikalische
Besonderheiten gibt, wo es dann doch relevant ist, ob ein Substantiv weiblich oder männlich ist? Oder reicht es tatsächlich aus, sich
nur zu merken ob es ein et- (n) oder ein en-Wort (m/f) ist?

24.03.23 15:51, Geissler de
Nicht alles, was Tilia geschrieben hat, kann man so stehen lassen.
Grundsätzlich werden in allen norwegischen Dialekten alle drei Geschlechter verwendet, mit der Ausnahme vom Bergenser
Stadtdialekt.
Man kann auch nicht sagen, ein Dialekt sei bokmål- oder nynorsk-basiert, denn damit zäumt man den Gaul von hinten auf. Bokmål
und Nynorsk sind schriftsprachliche Standards, die auf Dialekten basieren. Man könnte allenfalls von bokmål- und
nynorsk-nahen Dialekten sprechen. Und in der Tat ist das Norwegische, wie es in und um Oslo gesprochen wird, recht nah am
Bokmål. Man nennt diese gesprochene Variante auch standard østnorsk.

Ob man felleskjønn (Utrum/genus commune) verwendet oder zwischen hankjønn (Maskulinum) und hunkjønn (Femininum)
unterscheidet, ist weniger eine Frage des Dia- oder Regiolekts und mehr eine Frage des Soziolekts. Grundsätzlich gilt dabei: je
konservativer, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass weibliche Formen nicht verwendet werden. Man merke: In Norwegen ist
Sprache immer auch Politik.

Vor einigen Jahre erzählte mir ein norwegischer Autor, dass ihm die Zeitung Dagbladet (ursprünglich ein Blatt der
Sozialdemokratie) früher niemals die Form boken hätte durchgehen lassen, während das in der konservativeren Aftenposten
noch nie ein Problem war (dort fand man vor einigen Jahren noch die sehr konservativen Riksmålsformen sprog und have).

Wer also boken, hytten und tanten sagt, wird tendenziell eher zu den besseren Schichten im Osloer Westen gehören.

Bei einigen weiblichen Wörtern allerdings wirkt der Gebrauch der männlichen Form arg gestelzt (sofern man eben, wie oben
erwähnt, kein Bergenser ist). Dazu gehören jente, sol, ku, kone.

Eine interessante neuere Tendenz, die sich in Oslo, aber auch in anderen urbanen Zentren in den letzten Jahren beobachten lässt,
ist der Gebrauch des männlichen Artikels bei der unbestimmten Form, aber der weiblichen bestimmten Endung. Da hört man also
Dinge wie "Jeg leste en spennende bok her om dagen. Boka het '...'".

Um das kurz zusammenzufassen: Grundsätzlich kannst du bei fast allen weiblichen Substantiven die männliche Form verwenden,
es kann aber im Einzelfall etwas gestelzt wirken. Wenn letzteres allerdings dein größtes Problem im Norwegischen ist, kann man
nur gratulieren. :-)

24.03.23 18:03, flaska
Ich kann nur Geissler zustimmen. Ich komme aus Oslo-Ost. Bei den weiblichen Substantiven benutzen wir hier vor allem die A-
Endungen, aber doch den männlichen Artikel, z.B. en flaske-flaska.

Auch bei Verben benutzen wir A-Endungen wie bei Nynorsk, z.B.: å kaste-kaster-kastA-har kastA. Wobei in Oslo-West würden sie
"kastet" bei Vergangenheisformen sagen.

25.03.23 18:28, Sawk
Danke euch beiden! Dann werde ich also schon versuchen mir zu merken, wenn ein Wort weiblich ist, und es in der bestimmten Form
auch weiblich zu benutzen. Nach euren Aussagen klingt es so, als wäre es am wahrscheinlichsten dass meine Verwandschaft aus
Oslo das so spricht.