09.11.11 14:07
Stichwörter: R-lyden
Hallo zusammen.

Eine Frage zur Aussprache des "R"s im Raum Nordgudbrandsdalen.
Wie kann ich meiner Tochter (deutschsprachig) die richtige Aussprache dieses "Zungenspitzen-Rs" beibringen. Ich selbst beherrrsche es ja leider auch nicht. Und in der Schule wird immer wieder gesagt, es sei falsch, wie sie es ausspricht... Was nun? Gibt es irgendwo eine Zeichnung im Netz oder ein Video, wie eine deutsche Zunge das R hier lernen kann??? Hat jemand von den Heinzelnissen einen guten Rat???
Danke schon mal vorab!
Lieben Gruss
Iris.de

09.11.11 15:23
Ich weiß von keinem Patentrezept ("Zunge an die vorderern oberen Zähne und dann flattern lassen", aber können tut man das dann immer noch nicht), aber aus Erfahrung ist das mit viel Üben durchaus irgendwann zu lernen, nur Zeit braucht es eben. Da mein eigenes Norwegisch aus Bergen kommt, hab ich mich damit nie selbst beschäftigt, kenne aber ein paar Leute die inzwischen rollen wie die Weltmeister. Und im umgekehrten Fall einen Spanier, der inzwischen bergensisch kratzt als gäbe es nichts anderes.

Was mich aber wundert, wieso muss denn deine Tochte das unbedingt können? Wenn Norwegisch für sie eine Fremdsprache ist, darf sie doch einen Akzent haben, dafür kann man doch nichts, und der dürfte dann ja auch ein "falsches" R beinhalten? Zumal ja auch ein Muttersprachler aus Bergen nicht anfangen wird zu rollen, nur weil er vllt nach Nordgudbrandsdalen zieht.

09.11.11 15:23
Hei!
Wenn ihr mal versucht das Wort "Bedot" ganz oft hintereinander und immer schneller werdend zu sagen, da kommt irgendwann automatisch ein "Brot" mit Zungen-R heraus.
Gruss
Ina

09.11.11 17:12
"Bedot"? Wie spricht man das aus? Ist das ein französischer Name?

09.11.11 17:13
Und worin unterscheidet sich das Nordgudbrandsdalen-R vom normalen Zungenspitzen-R?

10.11.11 00:40
Das normale "R" im Deutschen (nicht in Bayern, da rollt man) ist das Rachen-R. Auch in Bergen spricht man das "kratzende" Rachen-R, also hinten im Gaumen.

Wenn du z.B. beim Aussprechen des Wortes "Brot" ein "d" vor dem "r" mitsprichst,
(Bdrot), dann fängt das "r" an zu rollen und die Zunge an zu flattern, so: B(d)rrrot.
Also ein "d" mitsprechen, wenn das "r" rollen soll. Oder etwa wie der Kutscher, wenn das Pferd anhalten soll: "prrr".

10.11.11 07:31
Danke für die Infos. Ich werde mit meiner Tochter jetzt ein wenig Drennauto spielen und dabei ordentlich flattern - ich hoffe das hilft.
Warum die Lehrer hier so ehrgeizig sind hab ich auch noch nicht heraus bekommen. Sie jedenfalls, da sie jetzt lesen lernt, stolpert über jedes "R" und Wørter mit "R" mag sie einfach nicht lesen, da ihr die Aussprache nicht gelingt.
Aber nun werden wir das mal versuchen - ich selbst bekomme nur fast einen Knoten in die Zunge, wenn ich so übungshalber immer ein "D" vors R bastel...
Besten Dank
Iris.de

10.11.11 11:31, Geissler de
Du sollst kein d vor das r basteln, sondern das r übungshalber durch das d ersetzen. Das
ist eine probate Methode, mit ihr hatr meine Tochter (mit 5) das Zungespitzen-R gelernt.

(Sie hatte vorher das "r" durch "j" ersetzt, sagte also "Bjot". Gleichzeitig beherrschte sie
zwar den welschen Sprachfehler, vulgo Rachen-R, sah ihn aber offensichtlich nicht als
adäquaten Ersatz an.)

10.11.11 14:33, Jørg li
Hat mich als Kind oft gestört, dass ich es nicht konnte, und war schon über zwanzig, als ich es lernte. Mein Rat:
ordentlich, stoßartig Luft geben und dabei sofort Zunge mit Vorderkante leicht und locker an den vorderen Gaumen
legen; beharrlich sein, viel üben. Dann geht’s auch. (Ich dachte zuvor, bei mir fehle die anatomische Voraussetzung.)

In süddeutschen und österreichischen Filmen war bis in die Fünfzigerjahre das Zungenspitzen–R üblich.

10.11.11 14:53, Geissler de
Nicht nur in süddeutschen und österreichischen Filmen. In der Bühnensprache war das
Zungenspitzen-R jedenfalls bis in die 60er Standard.
Das sogenannte "normale R" (also Rachen-R) war vor hundert Jahren in Deutschland noch die
Ausnahme, es breitete sich, ausgehend von einigen urbanen Zentren wie Berlin und Köln, auf
die umliegenden Gegenden aus. In Norwegen war es ähnlich, dort war m. W.Bergen der
Ausgangspunkt.

10.11.11 15:03, Geissler de
Ich weiß nicht, wie alt Deine Tochter ist, aber solche Übungen vepackt man am besten in
Spiele.
Meine Frau hat z. B. auf einem Blatt sechs Felder gezeichnet, darin jeweils ein Bild mit
einem Gegenstand oder einem Wort mit R, etwa "Brot", "grün" (ein grüner Klecks),
"Drachen", "Frau" usw. Dann hat jedes Feld eine Nummer von 1 bis 6 bekommen, und es wurde
gewürfelt. Je nach der Zahl mußte dann derjenige, der am Zug war, "D-dache" oder "g-dün"
sagen.
Wichtig ist, daß es Wörter sind, in denen das R tatsächlich gesprochen wird, also nicht
etwa "Pferd" oder "Torte".
Auch wichtig, daß es, zumindest am Anfang, Wörter sind, bei denen ein Konsonant vor dem R
steht, und daß das R von einem "dunklen" Vokal gefolgt wird ("re" und "ri" sind nämlich
schwieriger auszusprechen).

Ein anderes "Spiel" war, daß wir Geschichten vorgelesen haben und bei jedem Wort mit
gesprochenem "R" wurde gestoppt und das Wort nach dem oben beschriebenen Muster
ausgesprochen.

Ein bißchen später kann man dann auch Wörter hinzunehmen, die mit R beginnen; "rot" wird
dan zu "d-d-d-ot".

10.11.11 15:13, Geissler de
Noch eine kurze Bemerkung zum "Warum":
Wenn Ihr Euch dauerhaft in Norwegen niedergelassen habt, halte ich es für sehr sinnvoll,
daß Deine Tochter das "richtige" R lernt. Von Einwanderern kann man nicht verlangen, daß
Sie die Sprache ihrer neuen Heimat perfekt und akzentfrei beherrschen lernen. Wenn aber
die Kinder von Einwanderern Defizite haben, frage ich mich immer, was da schiefgelaufen
ist.

Im Norwegischen ist es nun so, daß die Aussprache des R auch auf gewisse
Konsonantenverbindungen Einfluß hat. Je nachdem, wie das R gesprochen wird, werden auch
"rs", "rd" und einige andere ganz unterschiedlich gesprochen

Meine Schwägerin ist im Østland aufgewachsen, spricht aber, beeinflußt durch ihre
Bergenser Mutter, mit Rachen-R. Das klingt ziemlich seltsam.

10.11.11 17:15
Nun weiß ich zwar nicht, wie genau man das R im Gudbrandsdalen rollt, aber ist das Zungenspitzen-R aus dem Austland nicht eher retroflex, wie in Trøndelag oder Nordnorwegen? Ich habe bisher nur wenige Norweger getroffen, die das R richtig "gerollt" haben. Die meisten mit Zungenspitzen-R realisieren das doch eher als 'tap', wie das auf Englisch heißt (ich kenne leider den deutschen Begriff gerade nicht).

10.11.11 17:37, Geissler de
Das ist richtig (auch wenn du den retroflexen Flap/Tap (beides gebräuchlich) [ɽ] ("tykk
l") mit dem alveolaren Flap [ɾ] zu vermengen scheinst.
Aber: Das [ɾ] wird an derselben Stelle im Mund realisiert wie der alveolare Vibrant [r]
(vulgo: Zungenspitzen-R, wie es etwa in Bayern gesprochen wird). Es unterscheidet sich nur
in der Anzahl der "Anschläge". Einbfach gesagt: Kann man letzteres, kriegt man auch ersteres
hin. (Andersherum bin ich nicht so sicher).

10.11.11 20:36
Geissler:
“Noch eine kurze Bemerkung zum "Warum":
Wenn Ihr Euch dauerhaft in Norwegen niedergelassen habt, halte ich es für sehr sinnvoll,
daß Deine Tochter das "richtige" R lernt.“

Könntest du mir bitte erklären, warum du es für sehr sinnvoll hältst das Zungenspitzen-R als das „richtige“ R zu lernen? Hat das Rachen-R (Skarre-R) in deinen Augen den schlechteren sozialen Wert?

10.11.11 21:51
Ich bin zwar nicht Geissler, aber wie hört sich denn deiner Meinung nach Platt mit Zungenspitzen-R an? Kein bisschen seltsam?

10.11.11 23:13
21:51
„Ich bin zwar nicht Geissler, aber wie hört sich denn deiner Meinung nach Platt mit Zungenspitzen-R an? Kein bisschen seltsam?“

Ich bin 20.36. Es ist mir nicht bekannt, dass Platt irgendwo mit Zungenspitzen-R ausgesprochen wird. Deine Frage bezieht sich also nicht auf die Realität.

Die Wirklichkeit ist aber, dass die ganze Bevölkerung entlang der norwegischen Küste von ungefähr Arendal in Süd-Norwegen bis Sunnfjord in Nordwest-Norwegen Skarre-R (Rachen-R) haben. Hast du wirklich vor, die Sprache dieser Küstbevölkerung als ”seltsam” zu stempeln? Das kann wohl nicht dein Ernst sein.

10.11.11 23:31, Geissler de
Meine lieben Leute, Ihr müßt schon lesen, was da steht, und dazu gehört schon auch der
Kontext. Was ich als "seltsam" bezeichnet habe, ist die Kombination von Østnorsk und
skarre-r, und dabei bleibe ich.
Ebenfalls korrekt ist, daß im Gudbrandstal das Zungespitzen-R (oder, wenn wir ganz
pingelig sein wollen, der stimmhafte alveolare Flap) das richtge R ist. Es gibt übrigens
die (für mich plausible) These, daß die ost- und mittelnorwegische Dialekte auch auf Dauer
bei diesem R bleiben werden, weil sich retroflexe Laute und Rachen-R gegenseitig
ausschließen.
Wer im Gudbrandstal als Einheimischer mit Rachen-R spricht, hat ganz einfach einen
Sprachfehler.

10.11.11 23:52, Geissler de
> "Ich bin 20.36. Es ist mir nicht bekannt, dass Platt irgendwo mit Zungenspitzen-R
ausgesprochen wird."

Mein lieber Schwan, dann solltest du deine Kenntnisse schleunigst erweitern (oder einen
Hörtest machen). Ich weiß nicht, woher du kommst, aber sollte ich als Bayer wirklich mehr
über das Niederdeutsche wissen als du?
Man höre sich zum Beispiel diesen nicht ganz unbekannten Nordfriesen an:
http://www.schleswig-holstein.de/Portal/DE/Service/Video/Willkommen_Plattdeutsc...

Jedenfalls ist das Zungenspitzen-R noch in weiten Teilen Deutschlands verbreitet,
jedenfalls in den älteren Generationen. Es gibt dabei leichte regionale Varianten der
Artikulation, so spricht es schon einer aus Nürnberg (Nämberrch) anders aus als ein
Niederbayer, aber es bleibt im Prinzip derselbe Laut.
Noch ein Hörbeispiel: der Sauerländer Müntefering. Man beachte das Wort "Region".
http://www.youtube.com/watch?v=0szPlCjOpn4

11.11.11 00:19, Geissler de
Apropos Hörbeispiele: "Die Wirklichkeit ist aber, dass die ganze Bevölkerung entlang der
norwegischen
Küste von ungefähr Arendal in Süd-Norwegen bis Sunnfjord in Nordwest-Norwegen Skarre-R
(Rachen-R) haben."

Stimmt übrigens auch nicht ganz; man vergleiche diese beiden Dialektproben aus Gulen
(Sogn)
und Gaular (Sunnfjord), beide nicht mit Skarre-R:
http://www.ling.hf.ntnu.no/nos/?nosid=nos13002
http://www.ling.hf.ntnu.no/nos/?nosid=nos13001

11.11.11 09:23
Vielen Dank für die hilfreiche Diskussion!
Ich habe jetzt auch im KiGa bei meiner kleinen Tochter eine Erzieherin gefunden, die unser "Problem" versteht und mir ganz deutlich den Unterschied gezeigt hat.
Da ich ein kleines "Dialektgenie" bin und mich unheimlich schnell an verscheidene Sprachklænge gewøhnen kann, klappt das jetzt bei mir schon ganz gut.
Sicher, wenn wir hier dauerhaft bleiben, was so geplant ist, dann sollten die Kinder auch den hiesigen "Slang" beherrschen. Aber unser "Berliner" Deutsch wollen wir natürlich auch weiterhin pflegen, was eine kleine Hürde sein wird, denn Zungenspitzen-R dabei klingt auch sonderbar! ;-)
Auf jeden Fall - DANKE an alle!
Aussprache schriftlich zu erklæren ist beliebig schwierig!
Schønes WE,
Iris.de

11.11.11 09:51, Geissler de
Ich glaube nicht, daß Ihr das "Berliner R" aufgeben müßt. Gerade Kinder sollten weniger
Probleme haben, sich daran zu gewöhnen, daß verschiedene Sprachen verschiedene Laute haben.
Das norwegische "au" ist ja auch anders als das deutsche, das norwegsche "s" im Anlaut ist
stimmlos usw. Das kriegt Ihr sicher hin!

11.11.11 11:33
Heisann Geissler.
Danke, dass du an uns glaubst! ;-)
Richtig, das "au" sprechen die Kinder wie nix (sauer er best!) und wir Grossen verrenken uns den Kiefer und finden es fast albern....
Aber das wird schon - man muss nur wollen! Ich bin ganz zuversichtig! Und für die Kinder ist es immer wieder ein grosses Erlebnis, wenn die Leute hier ganz verdutzt tun und sagen: "Ja men, du prater jo Lesjing!" Und wir stehen da, mit unserem doch ganz guten Bokmål mit deutschem Akzent und verstehen die eigenen Gøren nicht mehr.... :-)
Aber das "R" - das schaffen wir sicher auch noch!
Besten Dank!
Schønes WE, herzlichst Iris.de